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  • AutorenbildAnna Henschel

Zwischen den Jahren oder der Abstand zwischen Kule, Kalorien und Klettern



Das aktuelle Jahr ist noch nicht zu Ende, das neue hat noch nicht begonnen, man nennt diese Zeit oft “zwischen den Jahren”. Auf die besinnlichen Tage folgt oft die Besinnungslosigkeit: Man könnte meinen, in diesen Tagen passiere nichts, die Kule im Sofa behält ihre Form, weil man nur kurz aufsteht, zum Kühlschrank, um die letzten versteckten Kalorien zu suchen, und sich nach diesem aufwändigen Ausflug wieder in sein Körbchen vor den Fernseher begibt. Die guten Vorsätze haben noch Zeit, die schlechten Gewohnheiten dürfen bis Jahresende noch würdig verabschiedet werden. Nichts muss, alles darf, streng wird es noch früh genug.

Da die Zeit zwischen den Jahren ja streng genommen noch im aktuellen Jahr stattfindet, wird sie gerne auch von den Medien für diverse Jahresrückblicke genutzt, um dem kollektiven Gedächtnis seine Form zu geben und sich an Ereignisse zu erinnern, von denen man staunt, dass sie tatsachlich alle in ein Jahr passen.


Retrospektive


In diesem Jahr geht es uns genau so, wir können kaum glauben, dass alles in 300 Tage passt, was wir er- und überlebt haben:

- Job gekündigt (erstaunlich gut überlebt)

- Geheiratet (wird sich zeigen, wie gut wir das überleben, derzeit staunen wir über einen nachhaltigen Frieden)

- Reisen gegangen (große Erlebnisse und Emotionen, nur in Schlaglichtern darstellbar, insgesamt aber eine der wichtigsten und richtigsten Entscheidungen in 35 Jahren, trotz kurzzeitiger Formtiefs)

- Im Oktober erste 7b geklettert und erst kürzlich auch eine 7c (nicht nur überlebt, sondern auch im hochkonzentrierten Kletterrausch erlebt, mit nachhaltiger Motivation und unter den wachen Augen und Lob von Ron Fawcett - die britische Kletterikone der 70ern und 80er, vor dessen aktueller Leistung man sich getrost immer noch verbeugen mag, der Mann ist über 70 und spaziert 7b im Kaffeekranz-Modus)


Kürzlich schrieb Christian einen Tagebucheintrag am Reisetag 200, den wir in Cocentaina unter anderem mit einer der schönsten Wanderungen bisher verbracht hatten.



Aussicht vom El Montcabrer, Cocentaina

Krippenvariationen am Gipfel des El Montcabrer


Da hatten wir uns gefragt, was wir wohl an Tag 100 gemacht hatten. Der Zufall führte Chrissies Daumen genau auf die entsprechende Seite im Tagebuch. Wir konnten kaum begreifen, dass es bereits 100 Tage her war, dass wir in Bozen (Südtirol) waren und in der prallen Sonne zugunsten von Miris uns Alex häuslicher Erweiterung Landschaftspflege betrieben haben.


Retrospektve: September 2018, Bozen, Südtirol

In der Zwischenzeit haben die beiden sich nicht nur häuslich erweitert, weitere Freunde haben weitere Kinder auf den Weg gebracht, auf der anderen Seite freut uns, dass niemand gestorben ist. Die Welt hat sich um uns herum gedreht, und wir haben keine Ahnung, in welche Richtung, wir wissen nicht, was Trump zuletzt getwittert hat, wieso Macrönchen so viel Stress hat, oder ob wir mit unserem Diesel-betriebenen Alberto noch nach Freiburg einreisen dürfen.


Weihnachten


Ist auch gerade nicht so wichtig, denn auch wir genießen die Zeit zwischen den Jahren, und blicken gerade ein wenig erschöpft aber äußerst zufrieden bis beseelt auf ein Weihnachten zurück, über das sich Johannes verstorbene Mutter sicherlich sehr gefreut hätte und das der kleinen Dorfgemeinde, der nichts verborgen bleibt, sicher genug Anlass zu wilden Spekulationen geben wird:


Heiligabend in Tarbena, mit Till, Alex, Katrin, Sven, Kelly, Steven, Nick, Nicole und Pedro Perro

An Heiligabend saßen nach erstaunlich pünktlicher Ankunft von Katrin und Sven, die 1800 km von Köln nach Tárbena gefahren waren, 10 Reisende an der langen Tafel in Monas spanischem Haus, aßen von ihrem Festtagsgeschirr und zelebrierten den anschließenden Stromausfall zum Nachtisch mit Zwerchfellübungen zum Verdauen. Die Geschichten wurden übereinander gestapelt, lustige über kuriose, der Ofen warf hin und wieder ein Knistern ein, der Hund war im siebten Himmel, der Wein floss in Strömen, wir saßen unverpflichtend und lange beisammen, das Gefühl von Zuhause ließ sich nicht abstreiten, es war ein bisschen wie in einem amerikanischen Weihnachtsfilm mit Happy End.


Pedro Perro

Die Behaglichkeit dieser Gemeinschaft hielt noch einige Tage, denn keiner hat Anstalten zum Aufbruch gemacht.

So nutzten fast alle die Zeit zwischen den Jahren, um noch einige Tage zu bleiben, verteilten sich auf die Sessel und verließen ihre Kule nur für ein gemeinsames Klettern am Fels, wie andere eben spazieren gehen, als Vorwand, um am Ende des Tages wieder an der Tafel zum Essen zusammenzufinden.



Die Weihnachtscombo löste sich erst auf, nachdem die guten Plätzchen, die Katrin aus der Schule mitgebracht hatte, aussortiert und nur noch die gefährlichen mit der pinken Glasur übrig waren, im Kühlschrank war nur noch Käse, den man mit Pedro Perro nicht alleine lassen darf, und nach dem 4. Abend mit Ofengemüse wäre es Zeit für etwas Abwechslung geworden. Dass wir die nicht vorher schon gebraucht hatten, lag an den äußerst unterschiedlichen Charakteren, die ich an dieser Stelle nicht vorenthalten möchte, da sich aus dieser Schilderung auch Verknüpfungen zu früheren Reiseetappen ergeben, aus denen wiederum Teile dieser Runde resultieren.


Nick, Nicole & Pedro


Nick, Nicole & Pedro Perro waren bereits bei unserer vorletzten Begegnung an einem Kletterfels angetan von der Idee, Weihnachten gemeinsam zu verbringen, und bescherten uns gleich noch ein befreundetes Pärchen aus den USA, die gerade in Spanien angekommen waren. Nick kennen wir aus Chulilla, wo wir vor 8 Wochen klettern waren und Nicole noch nicht kannten, weil sie gerade im Zuge einer Fortbildung für Yogalehrer in Deutschland war. Der Zufall brachte uns immer wieder zusammen, nicht nur örtlich, auch in Gesprächen, von denen mir besonders die mit Nicks treffenden und unaufdringlichen wie therapeutisch wirksamen Perspektivwechseln nachhaltig und wohltuend im Gedächtnis bleiben werden. Dass er unser Mann für besondere Blickwinkel ist, beweisen auch diese Fotos, die er von uns am Fels gemacht hat.



Der Mann hätte somit als Psychologe oder Sportfotograf sicher ein gutes Leben haben können, entschied sich aber fürs Schreinern und in den letzten 10 Jahren eigentlich dann konsequent fürs Reisen, was er nun mit seiner Frau Nicole hauptberuflich macht. Nicole widmet sich in der Zeit intensiv der Yogapraxis, -Lehre und der Arbeit am Fels, wo die beiden ihrer gemeinsamen Leidenschaft nachgehen und harte Routen beackern, analysieren und bis ins kleinste Atom sezieren während Pedro Perro, der knuffige Terrier mit Hütehund-Herz, der sich in Chulilla immer auf Chrissies Yogamatte breit gemacht und nur zum vermeintlichen Schutz der Herde erhoben hat, eine geeignete Stelle zum Schlafen sucht und von Käse träumt.



Till und Alex



Till und Alex kennen wir aus Rincon Bello, einem Kletter- und Wandergebiet, das uns Nick damals in einem Empfehlungsrausch in Chulilla ans Herz gelegt hatte. Erst jedoch, als die beiden eines abends zufällig in Cabecon D' Or aufkreuzten, wo wir bereits mit Nick und Nicole sowie unsere beiden britischen Jungs, die nur noch wenige Tage vor sich hatten, den Wanderparkplatz belagerten, verfestigte sich der Kontakt, sofern es die eigene Tagesgestaltung zuließ



Till & Alex sind weniger auf dem Fels, meist per Gleitschirm unterwegs und auf Windverhältnisse angewiesen, die ein hohes Maß an örtlicher Flexibilität verlangen. Da auch die beiden Weihnachten sonstwo verbracht hätten und uns in der Zwischenzeit mit ihrer unkomplizierten und warmen Art ans Herz gewachsen sind, planten wir zu diesem Zeitpunkt Weihnachten bereits zu acht zu verbringen, zumal die gemeinsamen Abende in großer Runde bereits erprobt wie entspannt waren.



Katrin und Sven


Nun bleiben nicht zuletzt die beiden Spezialgäste zu erwähnen, die die 1800 km von Köln nach Tarbena im Flug sicher schneller überwunden hätten als mit EMMA, der guten alten T4-Dame. Dennoch haben Sven und Katrin, meine geliebte Freundin und Trauzeugin, das Unwahrscheinliche geschafft und sind tatsachlich über 20 Stunden Fahrtzeit pünktlich zum ersten Gang aufgeschlagen. Die Badezimmer-Gespräche am Ende des Abends mit Katrin und die 1,5 stündige Druck-Massage von Sven werden mich noch begleiten, wenn die beiden bereits 250 km weiter im Norden in Chulilla die ersten Routen geklettert und mit Rupi, den wir gerne an unserer Tafel gehabt hatten, das erste gemeinsame Post-Weihnachtsbier getrunken haben werden.


Gäste im Geiste


Wenn wir schon dabei sind, sollen an dieser Stelle auch all diejenigen erwähnt werden, die dabei gewesen wären, wenn sie nicht bereits vor Weihnachten den Heimweg angetreten hätten, nämlich Tina, Markus & Primin, mit denen wir seit Chulilla wochenlang durch Spanien unterwegs waren;


Zum Abschied gab es den Weihnachtsmann vom Aldi. Dass es den alten Mann an den Strand der Costa Blanca verschlagen hat, war selbst dem kleinen Pirmin suspekt.

oder Rupi, den ich in Chulilla in der Bar an der Seite einer vollbusigen Weihnachtsfrau versacken sehe. Und nicht zuletzt Rado und Sam, mit denen wir zum Abschied in einem mexikanisch-britischen Lokal zu Abend gegessen hatten, wo Rado die Geduld der grund-genervten und lustlosen Bedienung mit diversen Showeinlagen strapazierte und dieselbe sich an Rado rächte, indem sie seinem Freund Sam grenzwertig starke Cocktails mischte.



Die meisten von uns verließen das Lokal auf 2 Beinen, Sam hatte mindestens 4 (Käfer-Modus). Die Treppe hat er gut gemeistert, auch noch die Fahrt in unserem Auto, alles andere danach dürfte sich seiner Erinnerung entziehen.


Wir jedoch werden uns sicher auch nicht an alles erinnern, jedoch mit Sicherheit an diese Art der besonderen Zufälle und Begebenheiten, die sich am Ende zu einer gemeinsamen Tafel an Weihnachten verdichtet haben, die auch die mit einschließt, die nur im Geiste dabei waren.

In diesem Sinne eines ferngeistigen Einschlusses: seid alle herzlichst gegrüßt und mit den besten Wünschen für die Zeit nach der Zeit zwischen den Jahren bedacht.



Alles Liebe

Anna & Chris

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