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AutorenbildAnna Henschel

Wenn dem Wald Verödung droht. Freiburgs naturnaher Waldbau für eine ungewisse Zukunft








Dem Wald in Deutschland geht es so schlecht wie nie. Von ca. 11 Millionen Hektar Wald sind rund 285.000 komplett abgestorben. Das geht aus dem Waldzustandsbericht 2020 hervor, der Ende Februar von der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner vorgestellt wurde. Dass die Bäume krank sind, lässt sich bereits mit dem bloßen Auge erkennen. Wo noch vor wenigen Jahrzehnten sattgrüne, dichte Wälder in den Himmel ragten, mahnen heute großflächig graubraune Fichtenskelette und lichte Buchenkronen, dass der Wald den außergewöhnlichen Trockenperioden mit seinen Begleiterscheinungen wie immer heftigeren und häufigeren Stürmen sowie dem zunehmendem Schädlingsbefall nicht mehr Stand halten kann.


Das betrifft bei Weitem nicht nur rein ertragsorientierte Monokulturen, sondern auch Wälder, in denen sich die Waldbesitzer um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie bemühen.

Der Freiburger Stadtwald ist ein solches Beispiel. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre werden sowohl der Berg- als auch der Mooswald auf einer Fläche von 5200 Hektar nach den Standards des Forestry Stewardship Council (FSC) nachhaltig bewirtschaftet. Im Osten der Stadt sichert der Bergwald die steilen Hänge vor Erosion und mildert Sturzfluten bei Starkregen. Im Westen ist der Mooswald Teil des letzten verbliebenen großen Ried-Auewalds des Oberrheins und ein wichtiger Grundwasserspeicher. Das viele liegengelassene Totholz bietet zahlreichen Pflanzen- und Tierarten wichtigen Lebensraum. Die knapp 227.000 Freiburger sowie zahlreiche Besucher profitieren in einer der wärmsten Städte Deutschlands besonders an heißen Tagen von der klimaregulierenden Wirkung des Mischwaldes. Als Naherholungsgebiet dürfte seine ausgleichende und entspannende Wirkung spätestens seit der Corona-Krise noch an Bedeutung hinzugewonnen haben.



Doch die bisherigen Bemühungen, diesen Lebensraum intakt zu halten, konnten die Folgen von Extremwetterereignissen und des Klimawandels allenfalls abmildern:

Allein das Sturmtief Lothar am 26. Dezember 1999 hat rund 100.000 Bäume im Stadtwald entwurzelt oder stark geschädigt. Wiederkehrende extrem trockene Sommer seit 2003 haben die Eichenschädlinge und die Ahornrußrindenkrankheit im Mooswald befeuert, die Kronen der Buchen gelichtet, die Nadelbäume im Bergwald geschwächt und anfälliger für den Befall durch Borkenkäfer gemacht.


Experten schlagen Alarm

Angesichts der bestehenden massiven Schäden und drohender anhaltender Trockenheit schlagen Umweltschützer, Forstwissenschaftler wie Waldbesitzer gleichermaßen Alarm und fordern dringenden Handlungsbedarf für die Sicherung der Wälder in Deutschland.




Die Bundesregierung hat nun im Rahmen des Waldzustandsberichts 1,5 Milliarden Euro bewilligt, um die Schäden zu beheben und den Wald als Einkommensquelle, Erholungsort, Biotop und als Klimaschützer zu sichern. „Wir helfen den Waldbesitzern und Forstwirten effektiv, unkompliziert und schnell, Schäden zu räumen, neue resiliente und standortangepasste Bäume zu pflanzen, die Wälder weiter umzubauen und damit besser an den Klimawandel anzupassen. Damit werden wir unserer Verantwortung für den Wald und die kommenden Generationen gerecht“, so Klöckner.



Geld allein ist nicht genug

Doch die reine Förderung der Wiederaufforstung ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weiß Marc Hanewinkel, Professor für Forstökonomie und -planung an der Universität Freiburg. „Das wird die Schäden, die entstanden sind - allein in den Jahren 2018 bis 2020 zwischen 12 und 13 Milliarden Euro - nicht im Ansatz ausgleichen. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, die die Situation der Forstwirtschaft strukturell verbessern, d.h. es muss über eine Finanzierung der Ökosystemdienstleistung über die Holzproduktion hinaus geredet werden, und zwar als Dauerlösung.“


Die Freiburger Waldkonvention hilft dem Wald, sich selbst zu helfen

Um diese Dienste, die das Ökosystem Wald leistet, langfristig zu sichern, hat der Gemeinderat in Freiburg bereits vor 2001 die „Freiburger Waldkonvention“ beschlossen. Mit diesem Leitfaden schreibt die Stadt als kommunale Besitzerin des Stadtwaldes ihren Umgang mit dem Ökosystem fest. Für die Instandhaltung, Bewirtschaftung und Pflege des Ökosystemdienstleisters Wald stehen dem Freiburger Forstamt jährlich 4,5 Millionen Euro aus dem städtischen Haushalt zur Verfügung. „Durch den Klimawandel steigt der Aufwand hierfür jedoch dramatisch“, gibt die Leiterin des Forstamtes Freiburg, Nicole Schmalfuß, zu bedenken. Einen Antrag auf Förderung aus den 1,5 Milliarden an Bundesmitteln zur Bewältigung der Waldschädenhat die Försterin bereits gestellt: „Diese Förderung ist pragmatisch und zielgerichtet und sie ist unbedingt erforderlich. Für einen Zeitraum von drei Jahren hoffen wir auf rund 170.000 Euro.“

2020 wurde die Konvention um Ziele und Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung erweitert, denn der Beitrag, den der Wald zur Klimaregulierung leistet, kann kaum überbewertet werden: Bäume entnehmen und binde große Mengen des Treibhausgases CO2 aus der Luft. Das gilt für lebendes wie totes Holz, ob im Wald oder als Regal im Wohnzimmer. Laut Angaben des Freiburger Forstamts werden in Produkten aus Stadtwaldholz jährlich rund 7.900 Tonnen CO2 gespeichert.


Mit naturnahem Waldbau gegen den Klimawandel

Dauerhaft leisten kann dies nur ein intaktes Ökosystem. Mit einer nachhaltigen Bewirtschaftung wird sichergestellt, dass mehr Holz nachwächst als geerntet wird und gleichzeitig der Wald möglichst stabil und vielfältig gegen die zunehmenden Risiken im Klimawandel aufgestellt ist. Hierfür setzt das städtische Forstamt auf eine ungleichaltrige Baumstruktur, auf Vielfalt der Baumarten aus Laub- und Nadelbäumen sowie auf ein Totholzkonzept als zentrale Naturschutzmaßnahme. Bereits 1999 erhielt der Freiburger Stadtwald als einer der ersten kommunalen Forstbetriebe Deutschlands das Siegel des regierungsunabhängigen FSC, das der Stadt einen gleichermaßen umweltgerechten wie wirtschaftlich tragfähigen und sozial verträglich bewirtschafteten Umgang mit dem Stadtwald bescheinigt.



Die Mischung macht’s – die Frage nach einer robusten Komposition

Bei der Baumartenwahl setzt das Forstamt auf einheimische, trockenheitstolerante Laubbäume wie z.B. Eiche, Linde, Spitzahorn, Kirsche, Elsbeere. Beim Nadelholz hat sich die Douglasie, die eigentlich im Nordwesten der USA heimisch ist, gut in die Bestände integriert.



Doch die steigenden Temperaturen werden den Jungbäumen das Wachstum schwer machen. Aus den Prognosen der Wissenschaft zum Klimawandel in der Region geht hervor, dass heute keimende oder gepflanzte junge Bäume an ihrem Standort binnen der nächsten 80 Jahre und darüber hinaus voraussichtlich einen Temperaturanstieg im Jahresdurchschnitt zwischen zwei und vier Grad erleben werden.


Die Waldgesellschaft der Zukunft steht auf dem Prüfstand

Damit geht eine gravierende Abnahme des Wassers einher, das die Bäume zum Wachsen brauchen. Noch vor vier Jahren sah Schmalfuß den Stadtwald für den Klimawandel „gut gerüstet“, wie sie 2017 im Freiburger Amtsblatt zu Protokoll gab. „Leider bin ich heute etwas weniger optimistisch“, gibt sie zu. „Im Vergleich mit vielen anderen Betrieben haben wir weniger Schäden und bessere Ausgangsvoraussetzungen, aber der Zeitdruck für die Anpassung hat mit den Schäden zugenommen.“ Akuten Handlungsbedarf sieht Schmalfuß dennoch noch nicht und will mit heimischen Sorten ergänzen statt sie zu ersetzen, beispielsweise mit Baumhasel und Schwarznuss. Hierfür kommen die Hilfen des Bundes sehr gelegen.

Für Ulrich Müller, Forstexperten und Sachkundigen Bürger im Umweltausschuss des Gemeinderats der Stadt, greift diese Naturverjüngung mit heimischen Baumarten zu kurz. In Bezug auf die Überlebensfähigkeit der vorhandenen Arten zeichnet er ein düsteres Bild: „Wir werden 5 von 10 Baumarten verlieren.“ Damit meint er heimische Baumarten, die bislang als stabil und zukunftsfähig galten, wie die Buche, deren mittlerer Blattverlust in Baden-Württemberg sich seit der letzten Erhebung erneut erhöht hat und nun bei 35,2% liegt. Mittlerweile gelten 68% und damit mehr als zwei Drittel der Buchenflächen als deutlich geschädigt.Zusätzlich zur Naturverjüngung empfiehlt Müller daher eine möglichst breite Palette an Laubbaumarten zu pflanzen, die hier noch gar nicht vorkommen. „Spannend wird ein Blick in die Zeit vor der Eiszeit, aber auch nach Südeuropa. Mehrere Eichenarten südlich der Alpen kommen da in Frage.“ Das Ziel ist, möglichst viele verschiedene Baumarten zu pflanzen, in der Hoffnung, dass einige davon sich durchsetzen – auch wenn die Bemühungen, mit denen heute der Wald von morgen gestaltet wird, kaum belastbar sind.

Sicher ist bisher nur eins: dass alle Maßnahmen unter „tiefer Unsicherheit“ stattfinden, wie Hanewinkel feststellt: "Bei den derzeitigen rasanten Klimaveränderungen weiß keiner wirklich, wie die sogenannte natürliche Waldgesellschaft in einigen Jahrzehnten aussehen wird.“


Balanceakt zwischen Wirtschaft und Ökologie

Die Folgen der Trockenheit sieht man nicht nur an den Baumkronen, sie machen sich auch in der Holzindustrie bemerkbar. Die Fichte hat aufgrund des Wassermangels an Widerstandsfähigkeit eingebüßt und leidet seither zunehmend unter dem Borkenkäfer, der viele Bäume schließlich absterben lässt. Der Abtransport aus dem Wald kommt kaum hinterher, vor den Sägewerken entsteht Stau. Der Verkauf des Schadholzes stagniert vor allem aufgrund des Überangebots und bringt kaum noch etwas ein. Auf der anderen Seite treibt die hohe Nachfrage für Schnittholz die Preise in die Höhe.



Die Douglasie bietet für die anfällig gewordene Fichte eine stabile Alternative und ist mit jährlich rund 2 Millionen Euro Holzerträgen das wirtschaftliche Rückgrat des Freiburger Stadtwaldes. Der Absatzmarkt liegt sowohl im In- als auch im Ausland. Immer wieder werden zum Beispiel Douglasien als Strommasten nach Irland oder für die Herstellung dänischer Landhausdielen verkauft.

Doch ihr wirtschaftlicher Vorteil kann zugleich ein Nachteil für das ökologische Gleichgewicht des heimischen Mischwaldes sein, wie Müller erklärt: „Die Douglasie hat das Potenzial andere Baumarten zu verdrängen, weil sie sehr dunkel ist und kein Licht auf den Waldboden durchlässt. Eine Naturverjüngung heimischer Baumarten ist unter diesen Bedingungen schwierig.“ Wie Nicole Schmalfuß hält auch Marc Hanewinkel die Douglasie im Stadtwald dennoch für richtig, weil die Böden des Sternwaldes und am Rosskopf im Bergwald ideale Bedingungen für eine gute Nachbarschaft mit heimischen Arten ermöglichen. So kann eine „gelungene gemischte „Waldgesellschaft“ entstehen, die nur in gestuften, ungleichaltrigen Wäldern eine Chance hat“, so Hanewinkel.


Naturschutz sichert Lebensräume

Auch in Puncto Naturschutz gehört der Freiburger Stadtwald mit seinem Bergwald im Osten und dem Mooswald im Westen zu den Vorzeigewäldern in Deutschland. Fast die gesamte Stadtwaldfläche steht unter Landschaftsschutz, 2272 Hektar sind Fauna-Flora-Habitatrichtlinie-Gebiete, 400 Hektar stehen unter Naturschutz, 350 Hektar sind als Bann- und Schonwald ausgewiesen, wo Eingriffe des Menschen lediglich der Erhaltung oder Verbesserung spezieller Lebensräume dienen. „Jeder der bisschen Ahnung von Wald hat, sieht das sofort“, sagt Ulrich Müller und meint das liegengebliebene Totholz, das Vögeln, Fledermäusen und Insekten als Lebensraum dient. „Hier beginnt das Leben, und von Totholz hängt es ab.“ Als eine der ersten waldbesitzenden Kommunen hat das städtische Forstamt bereits 1996 ein Totholzkonzept erarbeitet und auf der Gesamtfläche des Stadtwaldes umgesetzt. Doch das Schutzkonzept war damals seiner Zeit voraus. Viele Freiburger reagierten skeptisch, sie wollten einen aufgeräumten Wald, in dem nichts unordentlich herumliegt. In den letzten Jahren ist vielen jedoch klar geworden, dass das kein Kriterium für einen gesunden, langlebigen Wald ist. „Die Entscheidung dafür, wirtschaftlich, sozial und öko zu sein, haben die Bürger getroffen“, gibt Müller zu bedenken. Ein zukunftsfähiger Wald hängt also nicht nur von standortangepassten Bäumen ab, sondern vor allem von den Interessen der Entscheidungsträger und der Bevölkerung.


Mensch und Umwelt als Lebensraumkonkurrenten

Dass die Freiburger dem Schutz des Ökosystems Wald jedoch nicht immer Vorschub geleistet haben, zeigt sich besonders am Beispiel des Mooswaldes. Dort konkurrieren die Ziele des Waldnatur- und Lebensraumschutzes vor allem mit der wachsenden Flächennutzung als Bauland und für Erholungsraum.

Gisela Maass ist Ur-Freiburgerin, Mitbegründerin der Schutzgemeinschaft Mooswald und seit 40 Jahren in der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald. Seit fast 50 Jahren beobachtet sie den Flächenverlust durch diverse Bauprojekte im Mooswald. „Der Mooswald wird von Besuchern stark frequentiert, er erfüllt viele Funktionen für die Stadt, und es ist meines Erachtens nicht gerechtfertigt, dass zwei Generationen einen Wald zerstören, der Jahrhunderte lang existiert und die Geschichte Freiburgs mitgeprägt hat, abgesehen von den Folgen für das städtische Kleinklima.“ Seit Ende des Zweiten Weltkriegs hat die Stadt Freiburg dem Mooswald 100 Hektar Fläche für diverse Bauprojekte abgerungen: für den Bau des Stadtteils Landwasser, der Westrandstraße, dem Mineral-Thermalbad, einer Mülldeponie und der Erweiterung des Industriegebiets Nord. „Mein Wunsch ist, dass man endlich begreift, wie wertvoll dieser Wald ist und dies nicht nur hier im Westen der Stadt, sondern auch im Osten Freiburgs.“, so Maass. Der aktuelle Flächennutzungsplan sieht zwar keine weiteren Waldverluste vor, jedoch sei im Vorfeld der nächsten Überarbeitung nicht nur Bedarf für Wohnraum, sondern auch für Gewerbe absehbar, gibt die Forstamtsleitung zu bedenken.


Die Zukunft des Waldes beginnt jetzt

Ausgleichsflächen, auf denen neuer Wald entstehen könnte, sind in dieser Stadt, die um jede neue Fläche Wohnraum ringt, nicht vorgesehen. „Daher ist es so wichtig, die bestehende Waldfläche in Freiburg zu erhalten.“, sagt Schmalfuß. Mit einem Jahresbudget von mehreren Millionen Euro jährlich aus dem kommunalen Haushalt, die für den Wald zur Verfügung stehen, und dem seit Jahrzehnten umgesetzten naturnahen Waldbau scheint die Stadt hierfür gut gerüstet. Auf solch günstige Bedingungen zur Gestaltung eines zukunftsträchtigen Waldes können jedoch längst nicht alle Waldbesitzer in Deutschland zugreifen. 48% der Wälder sind in Privatbesitz, d.h. die meisten Eigentümer unterliegen bei der Bewirtschaftung und Pflege ihrer Wälder vor allem den aktuellen ökonomischen Bedingungen. Viele sind auf den Ertrag aus Monokulturen angewiesen, auch wenn ein immer größerer Anteil bestrebt ist, den Wald nachhaltig zu bewirtschaften. Gesetzliche Vorgaben für Mischwaldbestände mit standortangepassten Pflanzen gibt es nicht. Hier dürften die 1,5 Milliarden an Bundesmitteln allenfalls die bestehenden Schäden begrenzen. Für einen Wald der Zukunft braucht es jedoch weit mehr als das. Wie dieser aussehen könnte, weiß heute niemand genau. Welche Folgen drohen, wenn zu lange gezögert wird, hingegen schon.

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