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  • AutorenbildAnna Henschel

Panorama, Woche 3, Guillestre/Eygliers, Haute-Alpes, Frankreich




Warum Gott in Frankreich lebt, wissen wir spätestens, seit sich die Alpenlandschaft abzeichnete, in die wir von Italien aus aufgebrochen sind. Genau genommen hat Gott erst mit Italien geliebäugelt, denn das Panorama hat sich bereits in den italienischen Seealpen abgezeichnet, wurde dann westwärts aber immer schroffer, karger und mächtiger, bis schließlich Schafe die Menschen ablösten. Eigentlich wirkte es fast so, als ob die Schafe den Hirten durchbringen müssten, und nicht umgekehrt.





Die alpinen Siedlungen wurden verlassener, je höher die Landschaft wurde, dort interessiert es auch niemanden, wo Italien aufhört und Frankreich beginnt. Ganze Dörfer stehen zum Verkauf frei, außer der Passstraße keine Infrastruktur weit und breit, einzig und allein die Natur, die sich in 4000 Meter hohen Bergen zu einem Panorama spannt, das von Flüssen, Hangweiden und Tälern geziert wird. Es ist nicht zu greifen, Worte versagen in der Beschreibung, nichts davon lässt sich auch nur annähernd in Bildern festhalten, sodass dem Körper und der Seele nichts anderes übrig bleibt als mit Tränen auf diese atemberaubende Schönheit zu reagieren!

Unglaublich, welches Bild sich uns einige Kilometer weiter geboten hatte: Geisterstädte voller Chalets, Hotels, Bars, Restaurants, gesäumt von Hängen, von denen keiner zu weit war, um Skilifte zu installieren. Aber auch hier: alles ausgestorben, selbst die Schafe, die hier längst durch Touristenmassen ersetzt wurden, die sich nur im Winter zeigen und mehr Geld eintreiben als es je ein Hirte mit seinen Schafen könnte. Dahinter befindet sich unser derzeitiges Zuhause, das Val Durance, ein breites Tal, mit hohen Bergen am Horizont, von denen nicht wenige noch beschneit sind.

Auch Guillestre, die erste Stadt am Rande des Tals, wo wir uns niedergelassen haben, ist derzeit karg besiedelt. Die Klettersektoren im Konglomerat füllen sich nur am Wochenende mit Seilschaften; unter der Woche sind wir fast ausschließlich für uns - aber auch sonst hatten wir in dieser Woche, wie auch in der Woche davor in Italien, kaum Menschenkontakt.

Dafür, dass wir einander als Paar nicht ausweichen können, schlagen wir uns bislang ziemlich gut! Dennoch arbeiten wir fleißig daran, unsere Französischkenntnisse etwas aufzuwerten durch gegenseitiges Vokabeltraining, auch wenn der Kopf an der Wand genug zu tun hat. Die Hakenabstände sind sportlich, aber das sind wir auch. Daher machen wir im Französischen wie auch beim Klettern schnell Fortschritte - manchmal auch etwas unfreiwillig, denn man muss sich schon vorher überlegen, wie man dem Mann bei der Post auf Französisch erklärt, dass man die Postkarten, die man am Nachmittag des Vortags in den Briefkasten geworfen hatte, gerne wiederhätte, weil man zwar die ganze Karte mit Text vollgeschmiert, dafür aber dem Postboten überlassen hat, wo auf der Welt er sie ablegt möchte. In Deutschland hätte man uns das Porto dafür nochmal berechnet, der Franzose war aber nicht nur clever, sondern auch unheimlich zuvorkommend in der Lösung des Problems. Überhaupt sind die Franzosen hier alle auffallend freundlich, ausnahmslos jeder grüßt überaus herzlich und zugewandt - es ist mehr als angenehm.

Unsere tägliche Routine kann man eigentlich keinem Daheimgebliebenen erzählen - nach dem Aufstehen beginnen wir den Tag mit Yoga und Meditation, umgeben vom sagenhaften Panorama, frühstücken entspannt und begeben uns dann an den Fels (davon gibt es hier mehr als für ein Menschenleben) oder gehen wandern (hierfür reichen selbst sieben Katzenleben nicht aus), am Nachmittag belohnen wir uns mit einem erfrischenden Bad in einen wunderschönen warmen See mit Alpenpanorama (auch hier ist nichts los außer am Wochenende), fahren wieder an den Aussichtspunkt unseres Vertrauens kochen zu Abend und lesen in fiktiven Welten herum oder schreiben die reale auf.

Wir können mit Verlaub sagen, dass es uns an fast nichts fehlt (außer nach wie vor einer zuverlässigen Internetverbindung), zumal auch hier Einiges wieder sehr nützlich geworden ist, das wir zur Hochzeit bekommen haben:

  • Bonne-Maman-Kekse von Katharina und Jonas

  • Bürountensilien für unterwegs insbesondere Post-Its für Markierungen der 1000 und 1 Klettergbiete von Micha und Rebekka

  • Dosenravioli von Herr Beckfrau und Frau Beckmann (?)

  • Spezial-Heinz-Beanies für extraharte (Maut-) Zeiten von Tine und Pete

  • Believe-in-Magic-Einhorn-Klopapier von Micha und Rebekka

  • Wäscheklammern von Micha und Rebekka

  • Hochzeitsvodka von Emilia und Gregor

  • Last but not least Tipps für die Gegend von Isa und Fabi, ohne die wir sowohl den Schafplatz als auch den See hier wohl nicht entdeckt und uns inzwischen wohl nen Sonnenstich beim Klettern geholt hätten.

Gesellschaft haben wir inzwischen auch: Vor drei Tagen hat sich uns Florian angeschlossen, ein angehender Zimmermann mit erlebnispädagogischem Hintergrund aus dem Donautal, mit dem wir gerade sehr gerne Zeit verbringen - ein äußerst angenehmer Zeitgenosse, mit dem wir sicher nicht das letzte Mal klettern und Fußball schauen waren. Heute wurde diese Konstellation durch den Besuch von seinen und unseren Freunden zerstreut, weshalb sich unsere Wege nun bis auf Weiteres getrennt haben.

Wenn ihr uns jetzt beneidet, dann zurecht. Jedoch gibt es eine Sache, die ihr uns voraus habt, nämlich die kontinuierliche Liveschaltung zur Fußball-WM. Aber auch dafür haben wir dank Chrissie eine Lösung gefunden. Seitdem sein Geist sich nicht um alltägliche Dinge scheren muss und er frei in der Gegend herumspazieren kann, ist er noch kreativer als sonst und kann seit Kurzem sogar in die Zukunft blicken. Demnach gewinnt Griechenland die WM durch ein Losverfahren, der zweite Platz geht an Italien, das sich im vorhergehenden Spiel nur knapp gegen Holland durchsetzen konnte.

Jetzt wisst ihr Bescheid.

A bientôt et bisous,

Anna & Christian












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