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  • AutorenbildAnna Henschel

Panorama, Woche 2, Ligurien




Gleiche Sprache, gleiche Sitten? Von wegen. Im Hinterland von Italien, wo sich die Partisanen und Deserteure dem Krieg verweigerten, sind die Einheimischen zwielichtige Gestalten wie uns gewohnt. Unser Zuhause der Wahl war ein vertrauter Ort, an dem wir uns bereits mehrere Male in der Vergangenheit häuslich eingerichtet haben. Der Kirchplatz von Veravo, im Val Pennavaire, bietet ein herrliches Biotop mit fließendem Wasser, einer Toilette und sogar einer Dusche.

Die sanitären Anlagen werde liebevoll von Kletterern gewartet, jedes Jahr gibt es irgendeinen neuen Spruch an der Wand oder Reparaturen, diesmal sogar einen neuen Klodeckel.







Das Örtchen zählt wohl nicht mehr als 35 Einwohner, wenn man davon ausgehen kann, dass diejenigen, die am heutigen Sonntag in der Kirche waren, auch dort leben. Genau genommen waren 36 Menschen in der Kirche, denn ich habe beschlossen, am letzten Tag unseres Aufenthaltes hier ins Herz der Gemeinde zu blicken und den Gottesdienst zu besuchen. Ein magisches Erlebnis. Die Kirche ist gemessen am Zustand der eingefallenen Häuser Veravos eine Kathedrale! Ich habe 20 Euro im Klingelbeutel gelassen, das schien die einfachste Art zu sein, sich hier irgendwie sinnvoll zu engagieren und den Ablass für unser Gewissen zu erhandeln. Von der Messe habe ich leider nicht viel verstanden, aber schließlich will ich hier ja auch italienisch lernen, und der Pfarrer bemühte sich, die Sprache deutlich zu tanzen. Ich habe auf jeden Fall das Kommando für “Friede sei mit dir” verstanden und freudestrahlend “Pace” um mich herum gestrahlt. Überhaupt war es eine sehr lockere Atmosphäre für so ein erzkatholisches Land - hier scheint die Zeit wohl nur in der Architektur und in einigen Gewohnheiten stillzustehen, an denen wir ablesen konnten, wie spät es gerade ist:

Jeden Morgen etwa um die gleiche Zeit fährt ein kräftiger Mann Mitte 30 (also Alter, nicht Geschwindigkeit, die ist ca 50) in abgetragener Kleidung, umgeben von einem noch abgetragenerem, verrosteten Transporter mit offener Ladefläche aus seinem vergitterten Hof hinunter ins Tal. Jeden Morgen, einige Minuten später, beginnt er, alle anderen Geräusche im Tal zu zersägen. Ob das den ganzen Tag so geht, könnten wir noch nicht einmal sagen, wenn wir den ganzen Tag auf dem Kirchplatz wären, denn dann hätten wir uns bereits so sehr an die Säge gewöhnt, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen würden. Jeden Abend in der Dämmerung kommt der Mann mit vollgeladener Ladefläche wieder zurück über den Kirchplatz in seinen Hof. Manchmal fährt er eine Extraschleife, Chrissie vermutet Aberglauben als Motiv.

Eines Tages krachte es unten auf der Straße - der Holzfällermann war mit der rechten Seite seines Pickups frontal gegen ein Geländer gekracht, das den Weg zur Kirche säumt, stieg aus, stieß einen verzweifelten Gruß an die Madonna aus und war wieder weggefahren, ehe ich mit einem Wörterbuch zu Hilfe eilen konnte. Ich glaube, Chrissie hat Recht, ich bin des Teufels, seitdem ich die Schwefelkur zu mir nehme. Vielleicht hat er aber auch was mit seinem Aberglauben falsch gemacht.

Der Mann grüßt immer sehr freundlich; das tut inzwischen auch die Frau im Bademantel, die täglich abwechselnd mal den einen, mal den anderen noch kleineren Hund über den Kirchplatz rauchend Gassi führt. Wo sonst findet man diese mehr als authentische Kombination aus qualmender Italienerin in Bademantel und Socken, die in stilechten Adiletten stecken in öffentlichem Raum? Nur auf dem Kirchplatz von Veravo. Möglicherweise ist das hier auch kein öffentlicher Raum, sondern die Abstellkammer des Örtchens, mit den Deserteuren Chrissie und Anna. Das dürfte vielleicht auch erklären, warum wir hier allein auf weiter Flur sind, denn außer uns scheint um diese Jahreszeit niemand hier hin zu wollen.

Nun sitzen wir in einem Café in Cisano Sul Neva und sehen unsere Vermutung bestätigt, dass hier kein Fußball übertragen wird, weil Italien nicht mitspielt. Die Ergebnisse können wir auch nur hier über Wlan abrufen; mein Datenvolumen fürs Ausland ist vollständig erschöpft und das von Chrissie brauchen wir für die aktuelle Wettervorhersage, um das wenige planen zu können, was wir glauben, planen zu müssen - die Übersiedlung morgen nach Briancon, denn hier sind wir fürs Erste nun genug geklettert und gewandert.

Die Kletterei war herrlich und anspruchsvoll zugleich, obwohl, oder vielleicht gerade weil wir uns in den niedrigeren, “einfachen” Graden bewegt haben. Doch muss man sagen, dass je nach Klettergebiet 6a/6b+ nicht gleich 6a/6b+ ist. Mal sind die Routen länger und ausdauernder, mal kurz und knackiger mit 1-2 schweren Zügen. Wir sind zwar noch nicht so fit, wie wir es schon waren u.a. ist Chrissies Finger auch noch nicht ganz gut, dafür genießen wir es, uns Zeit lassen zu können.

Das Eheleben scheint uns auch an der Wand ganz gut zu tun, die Laune ist meist sonnig, auch wenn es mal nicht so klappt, wie gewünscht.

Das mag wohl auch an den Geschenken liegen, mit denen ihr uns für die Hochzeitsreise ausgestattet habt. Folgendes hat uns inzwischen sehr genutzt:

  • Jos und Julias 40 Franken für eine Übernachtung auf einem 4 Sterne Campingplatz (das war noch im Tessin)

  • Herr Beckfraus und Frau Beckmanns Trockener Vino für wenns mal nass ist (auch noch Tessin)

  • Tine und Petes Beanies sowie Herr Beckfraus und Frau Beckmanns Erbseneintopf (Tessin)

  • Michas, Nikels, Nelas und Rebekkas Studentenfutter

  • Michas, Nikels, Nelas und Rebekkas Believe-in-Magic-Einhorn-Klopapier

  • Michas und Patricks Geburtstagströte für Chrissies Geburtstag (den ich vor lauter Zeitlöchern fast vergessen hätte)

  • Michas und Patricks Romantiktüte für Chrissies Geburtstagsabend

  • Tschibo-Ausstattung von Claudia

  • Jörgs 1-kg-Quinoa + -Chia-Samen (Halbzeit)

Alles Weitere werden wir noch (auf)brauchen.

Ein wenig Sorgen bereitet uns unser lieber Alberto (Bus), aber nur außen, denn innen ist er Dank der Meisterleistung von Thomas und Josef eine unverwüstliche und perfekt ausgestattete Kathedrale - da fehlen nur die Fresken. Der Auspuff kommt ziemlich rostig daher, in starken Linkskurven mit kompletten Lenkungseinschlag reibt irgendwas und bei Bodenwellen macht es auf der Beifahrerseite auch manchmal komische Geräusche, die wir nicht ganz deuten können. Vermutlich bin ich einfach zu fett, denn ich sitze meist als Beifahrer daneben. Wir hoffen aber, dass wir ohne Reparatur bis Ende der Reise durchkommen, zumal bezüglich des Auspuffes und des Lenkgeräusches beim wöchentlichen Check vor der Reise keine Einwände durch unsere Automechaniker des Vertrauens gab.

Wünscht uns Glück!!!

Ciao, e cari saluti di Anna & Chrissie


PS: Sorry für die wenigen Bilder, die Panoramaaufnahmen wollte das Wlan nicht laden....





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