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  • AutorenbildAnna Henschel

Halbzeit! Woche 15 + 16, Roadtrip durch Norditalien


Val Di Fumo

Sternzeit: Mitte September 2018, Halbzeit bei den kleinen Henschels. Zum Glück hat Halbzeit den Vorteil, dass (mindestens) die andere Hälfte noch vor uns liegt, und wo könnte man das besser zelebrieren als dort, wo wir den Beginn dieser erste Halbzeit vor 3 Monaten eröffneten - in Oltrefinale. Zuhause fühlen wir uns da schon seit 3 Jahren und kommen immer wieder gerne hin, weil kaum ein anderes Gebiet, das wir kennen, eine solche Dichte an Klettersektoren bietet, eingebettet im gemütlichen Tal Pennavaire im Hinterland der Ligurischen Küste.

Aber das Vergnügen von Erholung will verdient werden, dafür sorgt das Schicksal schon.


Roadtrip nach Ligurien


Der Reiz eines Roadtrips liegt im Wesentlichen in der Kürze und Intensität der Impressionen, es ist quasi der Reise-Espresso schlechthin. Einen besonders kräftigen hatten wir unterwegs von Südtirol nach Ligurien, im Val Di Fumo: wie der Name schon sagt rauchig, aber erst im Abgang. Doch noch war alles offen als wir uns von Alex Empfehlungen für eine indirekte, dafür aber besonders schöne Route nach Ligurien inspirieren ließen und dem Weg von Bozen aus über das Val di Fumo folgten, das im Westen am Gardasee und damit gleich gänzlich an der Zivilisation vorbeiführt. Nach den vielen Ortswechseln der letzten Zeit waren wir recht angespannt und hofften, in der Abgeschiedenheit etwas Ruhe zu finden.


Val Di Fumo


Und tatsächlich fällt mir spontan kein anderer Ort ein, an dem das so gut möglich gewesen wäre wie im “Rauchtal”, das zumindest um diese Übergangszeit von Sommer zu Herbst fast stillsteht.



Bei Einbruch der Nacht parkten wir Alberto weit oben am Rande einer Passstraße und gingen mit der Vorfreude ins Bett, am nächsten Morgen endlich sehen zu können, wo wir eigentlich sind und die Ära der Bergzeit mit einer würdigen Wanderung zu verabschieden, bevor wir unsere Fahrt an die Küste fortsetzen.

Tatsächlich entpuppte sich das Tal als eines der bislang charakteristischsten, wenn sich "charakteristisch" überhaupt steigern lässt.





Zu Beginn der Wanderung auf dem Weg zum Talende zeigte sich das Val di Fumo von seiner schönsten, auf dem Rückweg von seiner namensgebenden Seite.


Val Di Fumo, Rückweg



Die Wolken schleppten sich wie Rauch über die Bergkämme, verdichteten sich zunehmend zu einem ausgekochten Gewitter und tauchten das Tal in Qualm wie wir damals die Kneipe unserer Jugend.


Am Refugio und damit der Hälfte des Rückwegs angekommen kam die entscheidende Frage auf: warten oder rennen. In unserem jugendlichen Leichtsinn und motiviert von den Entscheidungsfreudigen, die sich vom Donnergrollen und dem einsetzenden Regen nicht beeindrucken ließen, nahmen wir die Beine in die eine, den Schirm in die andere Hand und rannten los.




Alles richtig gemacht, 20 Minuten später halbwegs trockenen Fußes und sicher unter dem Vordach einer kleinen Hütte Unterschlupf gefunden. Das Gewitter kam immer näher, rückte wieder ab, kam wieder, blieb, zog sich zaghaft wieder zurück, sodass wir nach einer halben Stunde guter Dinge waren, das Gröbste überstanden zu haben und uns noch nicht bewusst war, wie todesmutig wir uns auf das letzte Stück Weg begeben haben. Kaum 5 Minuten unterwegs gewesen, wurde klar, dass das Gewitter genau über uns festhing, es donnerte, der Blitz beschleunigte mit einer erschreckenden Frequenz unsere Schritte bis hin zum Sprint, Scheiß auf den Schirm, renn um dein Leben, nass bis auf die Haut, so standen sie da…ein lohnender Preis für eine der bislang schönsten, wenn nicht DIE schönste Wanderung bisher, wenn man bedenkt, wie viel Leute für einen Flug nach Kanada zahlen müssen, wo es genauso aussieht wie im Val di Fumo, inklusive Bärenpopulation.




Während wir vor dem Blitz flohen, schlug ein anderer einige Kilometer talabwärts in einen Fels an der Passstraße ein und begrub einen Straßenabschnitt unter sich - kein Durchkommen, sagten die italienischen Arbeiter, die uns vom Auto aus anhupten und genauso ratlos feststeckten wie wir. Mit den Händen war da nichts wegzuschaufeln, zu groß die Gefahr eines weiteren Erdrutschs, die Rinnsale aus dem Fels fingen langsam an, die Straße zu fluten. Da hilft nur Humor und Geduld, erstmal abwarten, vielleicht erbarmt sich die Feuerwehr, wenn nicht heute dann morgen, wir müssen ja zum Glück kein Zelt aufschlagen. Und Alternativen gibt es ohnehin nur über den Luftweg.

Keine Stunde später war die Straße soweit freigeschaufelt worden, dass man durchkonnte, schnell durchmusste, die Naturgewalten sind unberechenbar.




Atemlos durch die Nacht


Und doch ist mir im Nachhinein jedes Geröll wo es nicht hingehört fast lieber als eine Gegend, in die wir nicht hingehören, nämlich das kleine Stück Flachland von Italien, wo der Stiefel stinkt, hinter Brescia, vor, in und bei Roccafranca. Da fahr ich lieber durch und opfere die halbe Nacht einem ganzen Tag als auch nur eine Minute mehr diesen entsetzlichen stickigen Güllegestank ertragen zu müssen. Ich hoffe, man nimmt das nicht über die Poren auf. Meine Nase ist zudem empfindlich wie die eines Hundes, man hat keine Vorstellung davon, wie das ist. Apropos: Die Mücken, die uns zusätzlich zum Gestank attackiert haben, kamen aus dem Gulli direkt neben unserem Schlafplatz. Wenigstens gegen die Mücken lässt sich was ausrichten, eine Überdosis Antibrumm sollte reichen, in jedem Fall aber sollte allein schon die olfaktorische Wirkung der Kombi-Droge aus Antibrumm und Gülle dafür sorgen, dass man zumindest ohnmächtig wird, Hauptsache endlich schlafen! Aber wer will schon schlafen, wenn die Disco in vollem Gange ist, inklusive Festbeleuchtung vom Feinsten. Das Scheiß-Licht dringt durch jede Ritze, am liebsten würde ich alles mit Fugensilikon versiegeln, vielleicht bliebe dann auch der Gestank draußen.

Es ist so heiß. Fenster aufmachen wäre jetzt gut, aber das wäre ja förmlich eine Einladung an alle ungebetenen Gäste: Gülle, Mücken, Licht: alle wären sie da!

Ach Freunde, welchen Tod würdet ihr lieber sterben?

Falls sich jemand gerade fragt, wie sich Chrissie eigentlich dazu verhält, dann findet er die Antwort im Blog zum Roadtrip nach Südtirol, als ich ähnlich schlaflos durch die Nacht schrieb und einen ähnlich hohen Preis für eine so kurze Nacht gezahlt hatte, ebenfalls bei Brescia. Ein Rahmen, der kein Zufall sein kann.

Der Kaffee am Morgen danach an einem stinkenden vermüllten Brummi-Rastplatz war dann auch gar nicht so schlimm, die Vorfreude auf Ligurien überlagerte die triste Realität.

Wir blieben zunächst ein paar Tage auf dem Campingplatz San Martina oberhalb von Finale Ligure, an dem wir damals vor drei Jahren unseren allerersten Urlaub verbracht und uns damals wie heute fast täglich in der Wolle hatten, damals wie heute mit dem widerspenstigen Fels rangen - nur, anders als damals, heute viel gelassener mit den kleinen Desastern des Alltags umgehen können.


Ein Herz in Stein gemeißelt, so scheint es. Hier in Boragni, Finale Ligure.


Hannes & Ruppi


Und nun sind wir wieder in Veravo, am vertrauten Ort, der den Beginn dieser ersten Halbzeit vor 3 Monaten markiert, wo die rauchende Frau im Bademantel und der Holzmann sich immer noch Gutgenacht sagen - und wo Ruppi und Hannes uns guten Morgen wünschen und Letzterer gar nicht mehr aufhört, zu erzählen. Vom seiner Heimat im “Tal der Ahnungslosen”, wie man die Gegend um Dresden herum schon seit den 50ern nennt, wo man mangels Funksignal noch nie was von McGiver gehört oder gesehen hat. Aber wer braucht schon McGiver, wenn er ösm Östn kommt. Vielmehr kann sich McGiver mindestens eine Scheibe vom Einfallsreichtum der Sachsen zu Zeiten der DDR abschneiden: Da kaufte man sich in Tschechien Fußballschuhe, schnitt die Stollen ab und besohlte sie mit Gummi - fertig war der perfekte Kletterschuh. Hannes hatte 2 Paar davon. Das Provisorium war so gut, dass es im deutsch-tschechischen Grenzgebiet irgendwann keine Fußballschuhe mehr zu kaufen gab, alles abgegriffen von den kreativen Sachsen.

Doch die Tapete muss auch mal ausgetauscht und nicht immer nur überstrichen werden, man will auch mal raus aus der schönen DDR. Hannes stellt in den 80ern immer wieder einen Reiseantrag, bekommt aber nie eine Genehmigung. Egal, denkt er sich, und fährt halt ohne los, wird verhaftet und schaut daraufhin ein halbes Jahr die Knast-Tapete bevor er 1987 nach Franken aussiedelt. Macht ihm aber nichts aus, sagt er, vielleicht sogar besser als ein Dreivierteljahr durch die Welt zu irren, wie sein Kumpel, der mit einem Transvisum über Russland, die Mongolei und China nach Nord- und schließlich Südkorea gelangt ist, wo er nach einigem Hin und Her ein Übergangsvisum für Österreich bekam, mit dem er dann nach Deutschland eingereist ist, wo inzwischen die Barriere gefallen und die Reisefreiheit ausgebrochen war.

Auch für Hannes, der unter diesem Namen inkognito unterwegs ist, hat sich seit den 80ern einiges getan. Er hat jetzt Ruppi, den erstaunlich lieben aber manchmal halt etwas wilden Kampfhundmischling, einen rostigen aber erstaunlich fitten T4, die Grenzen sind offen und die Zeit als Rentner zumindest theoretisch grenzenlos - dennoch: länger als 6 Wochen hält er es unterwegs nicht aus, vielleicht auch, weil der Hund einen Menschen nicht ersetzen kann, auch nicht mit dem Einfallsreichtum des alten Sachsen, der aus einem Rüden eine Hündin macht und sich zur Hündin wie zu einer Lebensgefährtin verhält, die ihm entweder stets beipflichtet, ihn überall hin begleitet oder einfach schweigt, neben ihm liegt und seinen Geschichten lauscht, von denen wir nicht genug bekommen - und er offenbar nicht genug von seinem Publikum. Eigentlich wollte er schon längst weg sein, es zieht ihn aber unter Vorwand fadenscheiniger Ausreden immer wieder zum Kirchplatz nach Veravo zurück. Sicher ist ihm wieder eine Anekdote eingefallen, die er uns unbedingt noch erzählen muss.

Apropos Anekdoten: hier ein paar, die keinen Eingang in den Text gefunden haben, dafür aber in Bildern einige Impressionen dokumentieren, die sicherlich Eingang in unsere Erinnerung finden werden


Chrissies verzweifelter Versuch, beim Yoga ohne chemische Keule den Tigermücken zu trotzen.

Das Dorf Coletta aus dem 13. Jahrhundert, unterhalb von Veravo. Es wurde vor ein paar Jahren vollständig restauriert und nach 30 Jahren wieder bewohnbar gemacht.



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