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  • AutorenbildAnna Henschel

Frieren, Freu(n)de, Pustekuchen




Wenn auch nur die Hälfte der Leute, die den letzten Blogeintrag gelesen haben, die Daumen für Chrissies Durchstieg der Yerba Mate gedrückt hatten (siehe Klettern, Thesen, Temperamente), hat das für die 30 Meter der Sehnsuchtsroute gereicht.



Dank euch sind wir also jetzt in Spanien.



Weil das Daumendrücken so gut geklappt hat, könnt ihr grad weitermachen, denn hier regnet’s. Alle Kletterer, die vorhatten, die Herbstferien in Spanien oder Italien zu verbringen, hängen jetzt im Frankenjura oder in der Pfalz an der Wand und tragen dort zum Verschleiß der Felsen bei.

Bei uns verschleißt gerade nicht viel außer die Verschleißteile von Alberto. Nachdem wir in Oltrefinale eine Kule in den Kies gestanden haben ist nun wieder Rumgurken angesagt, wobei mir Rum und Gurken lieber wären, denn das Wetter wird zunehmend garstiger. Damit wir keine Kule in den Sitz drücken müssen, folgen wir erstmal dem Tipp von Florian und fahren nach Sadernes in den Nationalpark, wo wir unsere Hintern an spanischen Plattenfelsen hochschieben, was weder Chrissies und noch meinem bevorzugten Stil entspricht. Dafür ist der Blick in die Schlucht sehr schön, und ich merke, dass ich beim Wandern sicher eine bessere Figur gemacht hätte.


Tags drauf steht die Hoffnung mit einem anderen Sektor, fällt aber an der nächsten Platte, ich fühle mich zudem fiebrig (wie immer, wenn ich irgendwas nicht machen mag), und außerdem sind wir am Ende des Tages die einzigen auf dem Parkplatz, was irgendwie gruselig ist, mit den Wildschweinen und dem Einbruchglas und dem Vollmond.

Chrissie ist inzwischen abgehärtet und flexibel, daher bleiben wir nicht länger und fahren nach Montgrony, ein Gebiet in den Pyrenäen und der hoffentlich gefälligere Tipp von Florian. Und dort ist es wirklich zauberhaft, wenn auch die Vorboten einer Kaltfront nicht lange auf sich waren lassen.








Wir klettern der Nase nach, denn einen Kletterführer (die Bibel der Kletterer, damit sie wissen, worauf sie sich einlassen) haben wir nicht.



Brauchen wir auch nicht, weil wir aufgrund des dramatischen Wetterumschwungs keine Wurzeln schlagen können, aber auch nicht wollen, weil wir total heiß auf die Felsen am Montsant sind. Leider sind die Felsen am Montsant kalt und nass, also gurken wir erstmal nach Barcelona - wir haben so viel Gutes gehört, in dieser Stadt kann man es sicher gut aushalten, bei jedem Wetter!



War jemand schon mal in Barcelona bei 8 Grad und Dauerregen? Nein? Ist der Knaller! Sollte man unbedingt machen. Und sich gleich im nächsten Geschäft neue Socken und Schuhe kaufen und die durchgeweichten alten direkt in die Tonne treten. Ich will unbedingt Flamenco sehen, Chrissie will in den Parc Güell, beides an einem Tag und unter den Umständen geht nicht, wir müssen uns die Flexibilität gut einteilen. Also machen wir nichts von beidem und laufen uns so lange die Füße auf den Ramblas platt, bis wir uns einig sind, wieder per Zug zum Campingplatz zurückzufahren, die Waschmaschine anzukurbeln und am nächsten Tag unserem Bestimmungsort entgegenzufahren, es regnet ohnehin. Zum Glück erkennen wir rechtzeitig, dass es an unserem Bestimmungsort langsam Zeit wird, den Christbaumschmuck zu aktivieren, am Montsant schneit es laut Wetterprognosen eventuell.

Zum Glück haben wir Flexibilität gespart und noch ein wenig Humor übrig, den kann man auch auf Spanisch übersetzen.


Chulilla



Unser Gaul Alberto macht derzeit alles mit, also Peitsche raus und gen Sonnenuntergang Richtung Chulilla (bei Valencia), altbekannt und geliebt wegen der warmen Temperaturen, die auch nicht mehr sind, was sie mal waren um die Jahreszeit, der legendären Bar in österreichischer Hand und seiner ausgeprägten Kletterer-Community, auf die man sich immer verlassen kann: Kaum komm ich in die Bar, treff ich Rupi (Achtung: nicht den Hund, siehe Beitrag Halbzeit! Woche 15 + 16, Roadtrip durch Norditalien), den wir vor 1,5 Jahren hier kennengelernt haben. So wäre ich fast nicht dazu gekommen, zu schreiben, wenn er nicht seinen Blumenkohl hätte verkochen müssen, den er in Ligurien gekauft hat und schon gelb ist wie das Laub: Der Mann aus dem Donautal, der übrigens gut befreundet ist mit Flo, den wir im Val Durance kennengelernt haben, siehe Panorama, Woche 4, Val Durance, Hautes-Alpes, Frankreich), reist offenbar seit einiger Zeit parallel versetzt an uns vorbei: Tessin, Oltrefinale…und nun Chulilla. Nun parkt er direkt neben Alberto. Wenn das nicht der Beginn einer großen Freundschaft ist. Die Kletterwelt ist klein, über ein bis zwei Ecken kennt fast jeder jemanden den man auch kennt. Ein paar besonders bunte "Hunde" kennt sogar jeder in dem Kletterbuisness.


Anders, weil man denkt


Das ist jetzt inzwischen 2 Wochen her. Rupi sahen wir derweil nur sporadisch, was auch an den außerirdischen Temperaturen lag, weil man sich draußen immer nur mit den Betriebszeiten der Sonne bewegen konnte, und ansonsten um Halloween herum als Zwiebel verkleidet im Auto oder in einer Bar ausharrte.



Die Temperatur verliert aber an Bedeutung mit steigender sozialer Aktivität, die vor allem für meinen Seelenfrieden gerade unentbehrlich ist, da ich seit dem Projektabschluss der Yerba Mate in ein Motivationsloch gefallen bin und gerade weder Lust habe, Felsen zu beackern noch über Routen zu reden, während Chrissie beim Klettern und Reden zu seiner bisherigen (Lebens-) Höchstform aufläuft.



Mir taug derzeit eher die architektonische Vielfalt und urbane Ästhetik in Valencia



Vielleicht wird mir wegen dem kalten Fels so warm ums Herz, wenn wir einen Abend verbringen wie neulich, der in Qualität der Menschen und ihrer Konstellationen in meiner Erinnerung jetzt schon zu einer Legende gerinnt.


Die Stausee-WG



Tina, Markus & Pirmin


Da hätten wir Markus, Tina und Pirmin, mit denen uns ein unsichtbares Band verknüpft, weil sich unsere Wege immer wieder ungezwungen kreuzen, vor allem an den Abenden, wenn der Herdentrieb einsetzt und sich die Luft in der Gemeinschaft immer etwas wärmer anfühlt.



Die drei sind eine Wohltat fürs Herz, mit einem hohen Unterhaltungswert, der sich aus der Interaktion zweier sehr unterschiedlicher Erwachsener mit ihrem kleinen Bub ergibt: Ein Goldstück mit lockigem Haar, der mit seinem winzigen Fahrrad mit dem kleinen Terrier Pedro um die Wette pest, der Hund geht ihm gerade bis zur Hüfte.



Mal jagt der Hund das Kind, mal umgekehrt (mal flüchtet Chrissie mit Primins Rad); sie essen vom gleichen Boden und haben ähnlich perfide wie unwiderstehliche Methoden, um ungeteilte Aufmerksamkeit einzufordern oder mit Maßregelungen umzugehen: setzt man das Kind zur Strafe ins Auto, klettert es auf den Fahrersitz, nimmt sich ein Bilderbuch zur Hand, stellt das Radio an und genießt seine Ruhe. Derzeit hat die Jagd auf Mause höchste Prioritat, Pirmin versucht einen entsprechenden Jagdinstinkt bei Pedro zu schüren, Markus setzt Mausefallen, Tina beseitigt stundenlang die Spuren der Verwüstung u.a. Mäusewürstl.


Pedro & Nick



Pedro ist ein spanischer Straßenköter mit viel Familiensinn und -bedarf. Alle, die in seinen Augen nicht zur häuslichen Gemeinschaft gehören - oder sich einfach nur an ihm vorbeibewegen -, werden ohne Abstriche angekläfft und zurechtgewiesen. Es sei denn, Pedro hat es sich in der Sonne auf der Yogadecke von Chrissie bequem gemacht, die sich inzwischen bei allen möglichen wilden wie teil-domestizierten Tieren als Rastplatz bewährt hat.



In Pedros Brust schlagen also zwei Herzen, das Tier verausgabt sich bei Laufkundschaft und holt sich bei uns in zunehmender Frequenz Streicheleinheiten und Möhrchen, die er mitnimmt, um sie unauffällig auf dem Platz zu verteilen, sehr höflich für einen spanischen Straßenköter in Teilzeit.

Den anderen Teil der Zeit verbringt Pedro mit Herrchen Nick, unserem Kletterorakel - sag ihm was du kletterst und er sagt dir, wo du’s findest. Nick lebt mit seiner Frau bereits seit zig Jahren in Spanien in einem wohnlich ausgebauten Bus und berät hauptberuflich Kletterer, die sich nicht auskennen und auf der Suche nach der passenden Route sind. Nick berücksichtigt bei seinen Empfehlungen nicht nur Schwierigkeit und Kletterstil, sondern auch Wetter, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck, Felsabrieb und Anzahl der schwierigen Stellen in einer Route. All das kommuniziert er auf einmal, in einem Satz, man muss sich besonders konzentrieren, wenn man Nick’s Tipps in ihrer ganzen Bandbreite beherzigen will. Oder man fragt am Abend nochmal nach, da ist Nick meist etwas ruhiger und sein schwäbisch-amerikanisches Deutsch etwas besser zu verstehen, weil er zwischen den Worten mehr Platz zu lassen scheint.


Das lässt wiederum mehr Raum für Input von Tina, die ich mit ihrer strahlenden Erscheinung und entspannten Art besonders ins Herz geschlossen habe, auch weil sie nichts mit Klettern am Hut hat, eine andere Perspektive reinbringt und die tollsten Tiere aus Playdoh machen kann, die hier leider Primins Abendenergie zum Opfer gefallen sind.


Das war mal ein Schwein

Markus wiederum ist der wohl stärkste Kletterer, die wir in letzter Zeit getroffen haben, macht sich aber nichts draus. Nur ungern hängt er den ganzen Tag am Fels, bald zieht zieht es ihn zur Tränke, ans Feuer, wo der Sohn schon lauert und zum weiteren Akt aufdreht.


Kommt diese Combo bei einer günstigen Sternenkonstellation und genügend Wein zusammen, dann ergibt sich daraus ein Abend, den ich als einen der sicherlich schönsten, unterhaltsamsten und lustigsten der ganzen Reise erinnern werde.


Bald geht das Leben gen Süden weiter, Chrissies guter Freund Leo hat uns liebenswerter Weise sein Haus bei Benidorm angeboten, damit wir auch mal Urlaub von der Reise machen können. Bis dahin ziehen wir als Herde weiter nach Gandia, wo sich unsere Wege wohl auch ohne Absprache gekreuzt hätten. Da gibt es Sonne, Fels und Wein und viel viel Zeit.


Tschüss auf Spanisch

Anna & Chrissie

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